Outdoor-Erste-Hilfe-Kurs: Üben für den Ernstfall

Zecken, Bewusstlosigkeit, Schnittwunden und Knochenbrüche: Wer draußen unterwegs ist, trägt immer auch das Risiko, dass etwas passieren kann. Um auf solche Ernstfälle vorbereitet zu sein, haben die Teamer der Jugendherbergen zwischen Nordsee und Sauerland einen Outdoor-Erste-Hilfe-Kurs der Survival- und Wildnisschule belegt. Erste-Hilfe-Übungen unter freiem Himmel, die unsere Teamer ganz schön gefordert haben.

Auf einmal klappt Roland Göpfert weg. Sackt in sich zusammen, einfach so, und landet dann volle Breitseite auf dem winterfeuchten Boden. Sein Kopf liegt zwischen Gras und Blättern auf der Erde, und sein Körper zuckt unkontrolliert, bevor Roland regungslos auf dem Bauch liegen bleibt.

Schock in den Gesichtern der Teamer, die um ihn herum stehen. Eigentlich sollte es heute darum gehen, wie sie in einem Ernstfall reagieren können – beispielsweise auf den vielen Freizeiten für Kinder und Familien in den Jugendherbergen, die sie betreuen. Zwar müssen alle selbstverständlich einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren, bevor sie als Teamer eingesetzt werden – der Outdoor-Kurs soll diese Kenntnisse nur noch einmal vertiefen und sie dafür bereit machen, auch in Extremsituationen in unbekannter Umgebung schnell und richtig zu handeln.

Und nun stecken sie mittendrin in so einem Notfall.

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„Wir müssen ihn in die stabile Seitenlage bringen“, ruft Ivo. Der 23-Jährige ist erst seit Anfang 2016 Teamer bei den Jugendherbergen zwischen Nordsee und Sauerland. Bei vielen Programmen war er schon dabei – wirklich etwas passiert ist aber (zum Glück!) bislang noch nichts. „Nur einmal hatte sich ein Kind beim Toben auf dem Außengelände am Kopf verletzt“, erinnerst sich Ivo. „Da konnten wir schnell helfen, das war unkompliziert.“ Aber: „Es kann immer etwas passieren, das hat man natürlich im Hinterkopf.“ Um im Ernstfall schnell reagieren zu können, nimmt er heute mit etwa zwei Dutzend Teamer-Kollegen am Outdoor-Erste-Hilfe-Kurs der Survival- und Wildnisschule teil.

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Jetzt erst einmal Roland versorgen. Der liegt immer noch auf dem Boden, während die anderen an ihm zerren und ruckeln, um ihn in die stabile Seitenlage zu bringen. Aber wie ging die noch gleich? Ah, stimmt: einen Arm nach vorne ziehen, in der Ballwurfstellung positionieren. Kopf überstrecken, damit die Zunge nicht verschluckt wird, und mit der anderen Hand stützen. Knie nach vorne. Beine hoch? Die Jungs und Mädels schauen sich ratlos an. „Also ich würde es machen“, sagt eine Teamerin. Also: Beine hoch, Wärmedecke drüber, fertig.

Roland grinst. Natürlich ist er nicht wirklich ohnmächtig geworden – der Schockmoment gehört zum Kurs dazu. Wobei: Hätte man glatt glauben können, so wie der abgerauscht ist . „Das war schonmal sehr gut“, lobt der 48-Jährige. „Aber niemals die Beine hoch, erst recht nicht bei Verdacht auf Herzinfarkt!“ Das Blut fließe dann Richtung Brustkorb und erhöhe den Druck. Und: „Ihr solltet eine Person während des Krampfens nicht festhalten“, rät Roland. „Da entstehen starke Kräfte, da können sogar Knochen brechen.“ Wichtig sei es hingegen, die Person auch nach dem Aufwachen zu betreuen. „Oft können sie sich nicht mehr orientieren und haben eine gestörte Gefahrenwahrnehmung.“

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Ein Schrei in der Ferne. Die Teamer haben sich gerade gemütlich auf den Weg zur zweiten Station gemacht. Jetzt rennen sie. 200 Meter, 100 Meter. „Da vorne kniet jemand“, ruft Leonie. Die 23-Jährige ist seit drei Jahren Teamerin bei den Jugendherbergen. In dieser Zeit ist einmal etwas Schlimmes passiert – und das, was sie nun sieht, erinnert sie wieder daran.

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Die Frau, die auf dem Boden kniet, wimmernd, die Hände fest auf das Handgelenk gepresst, ist Katrin Lenz. Ihre ganze Hand ist rot, neben ihr liegt ein Messer auf dem Boden. Ivo sucht nach einem Druckpolster für den Verband, nimmt dann kurzerhand sein Handy; und Leonie hält Katrins Kopf.

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„Es war in einer Bastelstunde auf einer Freizeit. Wir haben vorher genaue Anweisungen an die Kinder gegeben – aber eines hat sich in die Sehne geschnitten“, berichtet Leonie. „Da war Blut, total viel Blut.“ Damals stand Leonie unter Schock. Sie hat sich darauf konzentriert, die anderen Kinder zu beruhigen und alle gefährlichen Gegenstände aus dem Weg zu räumen, während eine andere Betreuerin das verletzte Kind verarztet hat. „Seitdem habe ich mir vorgenommen, auf jeden Ernstfall vorbereitet zu sein“, sagt Leonie. „Dieser Kurs ist dafür genau das Richtige, um alles aufzufrischen.“

Katrin Lenz steht mittlerweile wieder auf beiden Beinen, lockert den Verband um ihren Arm. So schnell haut die 38-jährige Erlebnispädagogin nichts um: Sie ist bereits auf einem selbstgebauten FloAY 100 Kilometer durch Schweden gepaddelt, war schon in Südafrika und in allen möglichen Gebirgen unterwegs. Und sie ist Co-Ausbilderin in der Wildnis-Erste-Hilfe. „Es ist wichtig, dass ihr euch über eure Gefühle in der Situation bewusst werdet, um ruhig zu bleiben“, gibt sie den Teamern mit auf den Weg. „Spielt am besten schon vorbeugend Was-wäre-wenn Situationen durch, sodass vieles automatisch ablaufen kann, wenn wirklich ein Notfall eintritt.“ Für das Verhalten der Teamer in dem geschauspielerten Fall vor wenigen Minuten verteilt sie großes Lob: „Ihr habt sehr gut in der Gruppe funktioniert, klar Aufgaben verteilt und schnell gehandelt. Das war wirklich gut!“

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Teamer Stefan findet es wichtig, solche Ernstfälle in der Gruppe durchzuspielen. „Ich habe schon einige Kurse gemacht“, gibt er zu, „aber hier ist der Vorteil, dass wir direkt am Praxisbeispiel üben können.“ Dass vor allem die Erfahrung am Ende dafür sorgt, dass man in der jeweiligen Situation ruhig und überlegt agieren kann, hat der 28-Jährige in seinem Freiwilligen Sozialen Jahr gelernt. „Dort habe ich viele Epileptiker betreut. Bei den ersten Fällen war ich sehr nervös – mittlerweile ist das Routine für mich, das läuft automatisch ab.“

Aber: Manchmal sind es auch die kleinen Dinge, die in Vergessenheit geraten. Zum Beispiel, mit welcher Seite nach oben die Rettungsdecke aufgelegt werden sollte. „Am besten mit der goldenen Seite nach außen“, erklärt Frank Draeger, ausgebildeter Rettungssanitäter sowie Gründer der Survival- und Wildnisschule, und hat auch gleich eine Eselsbrücke dafür parat. „Denkt immer daran, dass ihr die Person ‚vergolden‘ wollt.“ Eine andere Merkhilfe für eine Frage, die an diesem Tag immer wieder aufkommt: Beine hoch oder nicht? „Beine immer hoch, außer bei Schmerzen in den B’s: Birne, Brust, Bauch, Beine.“ Frank grinst. „Also quasi immer.“

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Frank ist seit 2004 selbstständig, oder wie er sagt: „Das ist meine 12. Saison.“ Vorher hat er seine Rettungssanitäter- und seine Rettungsassistentenausbildung absolviert, war bei den Maltesern, war in Norwegen und in Kenia unterwegs und an vielen Orten dazwischen. „Erste Hilfe kann man nie genug bekommen“, sagt der Vater von drei Kindern. Dass er die Kurse als Outdoor-Erlebnis anbietet, hat mit seiner Leidenschaft für Draußen zu tun. „Ich bin Outdoor-verrückt, das ist der rote Faden in meinem Leben.“ Dabei geht es ihm vor allem darum, mit so wenig wie möglich auszukommen.

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Doch gerade beim Thema Erste Hilfe gibt es auch ganz viel drum herum – die Vorgehensweise, die man kennen muss, und auch der rechtliche Rahmen. Frank kann da beruhigen. „Erste Hilfe ist ganz viel gesunder Menschenverstand und ein bisschen Handwerk“, betont er. Auf die Frage, bis zu welchem Grad man helfen muss, sagt er: „Man muss immer helfen, außer: Es gibt andere wichtige Pflichten, wie etwa die Fürsorge für andere in der Gruppe, um Schlimmeres zu verhindern. Und wenn die Hilfe nicht zumutbar ist, weil sie die eigene Gesundheit gefährden würde.“ Festgelegt, wie man helfen sollte, sei aber nichts – die Möglichkeiten reichen also vom Anruf beim Notarzt bis zu Wiederbelebungsmaßnahmen.

Die Teamer, das ist klar, wollen natürlich so gut wie möglich vorbereitet sein und eingreifen können, falls dann doch einmal etwas passiert. Ivo zeigt sich erleichtert, dass er sein Wissen noch einmal auffrischen konnte. „Da waren noch einige hilfreiche Tipps dabei“, resümiert er. „Das gibt Sicherheit.“ Auch wenn er wie die anderen Teamer hofft, dieses Wissen so schnell nicht anwenden zu müssen.

Du willst selber gerne Teamer beim DJH werden? Dann schau Dir doch einmal diesen Bericht auf unserem Blog an, um mehr zu erfahren. Weitere Infos zu der Wildnis- und Survivalschule gibt es hier.

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