Jugendherberge Emden: Herr Schöne, der Nachtportier

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Adolf Peters war Seemann, Kioskbesitzer, ist mit dem Wohnwagen durch Europa gefahren. Jetzt arbeitet er dort, wo er bereits als Kind mit seinem Vater Aale gefangen hat: In der Jugendherberge Emden, direkt an der malerischen Schleuse. Hier versorgt er Gäste, die spät anreisen, abends noch ein Bierchen trinken oder einfach nur eine gute Geschichte hören wollen. Wir haben den 80-Jährigen eine Schicht lang begleitet.

Auf einmal ist Atsche da. Auf leisen Sohlen hat er sich in die Jugendherberge Emden geschlichen, ist ganz plötzlich aufgetaucht, fast wie ein Gespenst. Der Vergleich passt: Atsche, gesprochen mit einem langen ‚A‘, ist der gute Geist des Hauses. Und er erscheint immer dann, wenn es dunkel wird. Für eine Stunde, von neun bis zehn, meistens kommt er etwas eher und bleibt etwas länger.

Atsche wird manchmal auch Herr Schöne genannt, zum Beispiel von Hausleiterin Nele Krampen. Weil er sich einmal ein Namensschild an die Brust geheftet hat, gebastelt aus einem dieser Kärtchen, die die Gäste auf den Zimmern mit ‚Schön, dass Sie da sind!‘ begrüßen, und ein Gast ihn daraufhin mit Herr Schöne ansprach. Aber eigentlich heißt Atsche Adolf Peters. Und Adolf Peters ist der Nachtportier der Jugendherberge Emden.

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Seit 2013 ist Atsche im Haus, oder wie er sagt: an Bord. Der 80-Jährige ist früher zur See gefahren, war überall, außer in Neuseeland und Australien. Die 20 Jahre auf den Weltmeeren hört man heute noch raus. Gestern sind die aus Zimmer 300 noch an Land gegangen‘, erzählt er jetzt Nele zu Beginn seiner Schicht. Übersetzt heißt das: Die Gäste waren abends in der Stadt unterwegs.

Die Schifffahrt spielt in seiner Familie eine wichtige Rolle. Atsches Vater war einer der Ältesten Binnenschiffer Niedersachsens. Teile des heutigen Ems-Jade-Kanal, des Emder Stadtgrabens und des Roten Siels, die direkt hinter der Jugendherberge an der Schleuse zusammentreffen, gehörten ihm; Atsche hat als kleiner Junge bereits die Schleuse per Hand gekurbelt. Dann kam der Zweite Weltkrieg. Mein Vater sagte immer zu meiner Mutter: Wenn ihr in den Bunker müsst, dann nimm den Koffer mit den Fischernetzen mit, der ist unser Kapital‘, erinnert sich Atsche. Eine gute Entscheidung: ‚Nach dem Krieg hat mein Vater direkt wieder mit dem Fischen begonnen, konnte uns versorgen und seinen Betrieb aufbauen.‘ Noch heute kann Atsche in den umliegenden Gewässern zeigen, wo die besten Stellen zum Aale fangen waren.

Aber: Atsche folgt seinem Vater nicht in den Beruf. Er fährt zwar zwei Jahrzehnte zur See, weil er jedoch bei einem Landgang in Bremen-Gröpelingen einen kleinen Tante Emma Laden entdeckt, wächst in ihm ein anderer Wunsch heran: Er will selbst einen Kiosk aufmachen. Also geht er zurück nach Emden, findet passende Räumlichkeiten in einem Hochhausviertel. Das war `ne ganz unglaubliche Geschichte‘, sagt Atsche. Das werde ich nie vergessen: Das war `ne Frau Baudach, die mir einen Pachtvertrag für zehn Jahre anbot. Zehn Jahre! Und ich fragte noch verwundert: Brauchen Sie denn gar keine Referenz? Sie sagt: Nee, sacht se, mein Mann arbeitet bei der Commerzbank, Sie sind bei der Commerzbank, ach ich kenne alles Über Sie, das läuft. Joa, und so kam das dann, ne.‘

Atsche richtet dort sein kleines Geschäft ein. Zu der Zeit wohnen ca. 160 Leute im Block, viele Ausländer, Menschen aus dem Irak, aus Italien, Vietnam, Polen. Oft in ärmlichen Verhältnissen, was Atsche daran sieht, dass die Kinder ohne Frühstück zur Schule geschickt werden und mittags hungrig in seinem Laden stehen. Das konnte ich nicht mit anschauen‘, meint der 80-Jährige kopfschüttelnd. Deswegen fängt er an, Frühstückstüten zu packen, die sich die Kinder morgens rausholen können. Und nachmittags lädt er sie zu sich nach Hause ein, wo seine Frau Moni etwas für alle kocht. Wir waren quasi die Sozialarbeiter des Viertels‘, meint Atsche lächelnd. Er versucht zu helfen, wo er kann, vermittelt Lehrstellen, fährt die Jugendlichen nachts mit seinem Bulli zur Disko in die Stadt und holt sie ab, steht mit Rat und Tat zur Seite. Manchmal kommen Leute auf ihn zu, die er auf den ersten Blick gar nicht erkennt, und bedanken sich für seine Unterstützung damals während der Kiosk-Zeit. Einer der Jungs, der sich damals Süßes in Atsches Laden gekauft hat, ist heute Hausmeister der Jugendherberge Emden.

Ring-rrring-rrring. Da kommt er. Auf dem Fahrrad sitzt Hausmeister Frank Reiter, klingelt, winkt Atsche schon aus der Ferne zu. Es ist kurz nach Schichtbeginn, Atsche sitzt unter dem Dach des neu angelegten Grillplatzes der Jugendherberge Emden und nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette. Min Jung, wat machst du denn hier?‘, fragt er. Och‘, sagt Reiter, ‚ich hab gerade gut gegessen und musste mich ein bisschen bewegen. Wollt mal schauen, ob alles in Ordnung ist?‘.  ‚Alles bestens‘, antwortet Atsche und reckt den Daumen in die Höhe.

Der Kontakt zur Jugendherberge kam allerdings nicht über Frank zustande, sondern über den ehemaligen Herbergsleiter Berndt Tjarksen. Der sprach Atsche an, ob er Interesse daran hätte, in der Jugendherberge als Nachtportier zu beginnen. Atsche, der nun Rentner und gerade mit seiner Moni im Wohnwagen quer durch Europa gereist war, dachte sich: Warum nicht? Mit Kindern konnte er ja, die Umgebung war ihm bekannt und in der Jugendherberge war er auch schon des Öfteren zu Besuch. Also begann er, in der Jugendherberge Emden zu arbeiten, oder wie er sagen würde: er heuerte an. Und seitdem kommt er jeden Abend hierher.

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‚Unser Herr Schöne ist eine echte Bereicherung fürs Team‘, sagt Hausleiterin Nele. Wenn er anfängt, seine Geschichten zu erzählen, ist es, als würde man in einem Buch lesen.‘ Es gab sogar schon Gäste, die nur wegen ihm wiedergekommen sind: eine Familie aus Österreich zum Beispiel. Adolf hat immer etwas zu Schlickern für die Kinder da.‘ ‚Stimmt‘, sagt Atsche lachend, ‚und bei der Familie war es so, dass die Kinder gesagt haben: Wir wollen wieder dahin, wo der liebe Onkel ist.‘ Oft bringt er die Gäste aber auch zum Lachen. Er fragt dann: ‚Wissen Sie, was das Schönste an Emden ist?‘ und antwortet direkt darauf selbst: ‚Die Männer, natürlich. Das sieht man doch an mir.‘

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Was Nele aber am meisten an ihm mag: ‚Adolf ist immer optimistisch. Er sagt dann immer: Kriegen wir hin. Und er kriegt es auch hin.‘

Einmal zum Beispiel, da ist die Fähre nach Borkum nicht gefahren, und plötzlich stand eine komplette Schulklasse in der Jugendherberge, auf der Suche nach einem Platz zum Schlafen. Nicht nur beim spontanen Check-In half Atsche. Auch als die Lehrer, nachdem gerade der Koch gegangen war, nach Essen fragten, sagte Atsche, : Das kriegen wir hin. Und zusammen mit seiner Frau Moni kriegten sie es hin.

Ein anderes Mal gab es nachts einen Wasserschaden. Kriegen wir hin, sagte Atsche, fuhr zur Jugendherberge und begann dann, die Böden zu feudeln, bis alles wieder trocken war.

Kriegen wir hin, das sagt er auch jetzt, um 20 vor zehn an diesem Dienstagabend. Vor ihm steht eine Mutter, völlig aufgelöst: Das Auto der Familie ist liegengeblieben, mit dem Ersatzwagen sind sie irgendwie nach Emden gekommen und brauchen jetzt eine Unterkunft. Atsche studiert den Belegungsplan, sucht dann den Schlüssel mit der Nummer 203 heraus und überreicht ihn der sichtlich erleichterten Frau.

Dann dreht er noch eine letzte Runde: Durch die Küche in den Aufenthaltsraum, kurz zum Fernseher, um zu sehen, wie es beim Fußball steht.

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Runter in den Keller, Türen und Fenster kontrollieren, alles abschließen.

Wieder die Treppe hoch, raus vor das Haus. Leuchtet rüber zum Schleusenknechthaus. Das Licht seiner Taschenlampe spiegelt sich in den Glasscheiben des neuen gläsernen Aufenthaltsraums, wandert runter zum stillliegenden Wasser. Alles in Ordnung. Zurück zur Rezeption, Sachen packen, Telefon aus der Hemdtasche legen, Kasse unter den Arm klemmen, Jalousien runterlassen. Feierabend.

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Bei gutem Wetter schwingt er sich dann auf sein Motorrad, eine 30 Jahre alte Moto Guzzi California 2, sein großes Hobby. Heute aber geht es mit dem Auto zurück nach Hause. Dort wartet Moni schon, mit einer Kanne Tee, und dann reden die beiden noch bis spät in die Nacht. Wir haben so viel zusammen erlebt, wir haben uns immer etwas zu erzählen‘, sagt Atsche, der mit seiner Frau nächstes Jahr ein halbes Jahrhundert lang verheiratet ist. Dabei geht es nicht nur um Vergangenes, sondern auch Zukünftiges. Ich hab noch so viel vor‘, betont Atsche, ‚meine Frau sagt immer, ich müsste 200 Jahre alt werden, um das alles zu schaffen.‘ Sein nächstes Vorhaben ist allerdings nur wenige Stunden entfernt: Am Mittwochmorgen will er wieder in die Jugendherberge fahren. Einen Kaffee trinken, Zeitung lesen, kurz mit Nele alles für die Schicht am Abend absprechen. Ein bisschen ist die Jugendherberge Emden eben sein zweites Zuhause. Oder, wie er sagen würde: ein Heimathafen, direkt hinter der Schleuse, an der er schon als Kind mit seinem Vater saß.

Ihr wollt Atsche, Nele oder die wunderschöne Umgebung der Jugendherberge Emden kennen lernen? Dann kommt doch mal bei uns vorbei! Alle Infos zur Jugendherberge und zur Buchung findet Ihr hier. Wie es ist, in dem historischen Schleusenknechtehaus zu Übernachten, lest Ihr hier in unserem Beitrag. Dort gibt es jetzt übrigens auch einen neuen Aufenthaltsraum: vollverglast, mit angrenzender Terrasse und tollem Blick auf das Wasser. Aber seht selbst:

3 Kommentare;

  1. Carsten Peters sagt:

    Wir lieben unseren Vater und Großvater.
    Hart aber meist gerecht. Trotz seines hohen Alters jammert er nie!
    Wir wünschen unserer Mutter und unserem Vater das sie Gesund bleiben und Steinalt werden.

    Der Älteste Sohn
    Zimmermeister
    Carsten Peters und Frau Claudia
    Enkelkinder Kennet, Sören und Maike-Irena-Lina

  2. Sören sagt:

    Das ist mein Opa, wie wir ihn lieben!

  3. Anita und Karl-Heinz Harms sagt:

    Wir kennen Atsche und Moni seit 40 Jahren und sind mit den Beiden schon quer durch Europa gereist und einen Abenteuerurlaub erlebt.
    Tasche bleib wie Du bist und wir wünschen Dir, dass sich noch all Seine Wuensche erfüllen.
    Anita und Karl-Heinz.

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