OLB MUSIK-CAMP NORDWEST 2015 auf Borkum | Tag 2

Eins muss man Musikern lassen: Sie können nicht nur bis tief in die Nacht so konzentriert arbeiten, dass die Lautstärke sogar hartgesottene Reservisten aus dem Bett befördert, sondern am folgenden Tag auch pünktlich wieder am Frühstückstisch sitzen. Obwohl die letzten Gitarrengriffe gestern erst gegen 2 Uhr nachts auf den langen Gängen der Jugendherberge Borkum verklangen, fehlte heute um 8 Uhr nur ein Gesicht beim Frühstück. Aber das war auch bald wieder zu sehen.

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Damit alle nicht nur anwesend, sondern auch wirklich wach sind, startete der zweite Camp-Tag mit einem Warm-Up, bei dem ordentlich in die Hände geklatscht und auf den Boden gestampft wurde. Aber bitteschön rhythmisch. Und mal laut, mal leise, mal schnell, mal langsam. In jedem Fall vierstimmig. Wie schwierig es manchmal sein kann, im Takt zu bleiben, und wie wichtig, auch mal das Metronom zur Hand zu nehmen, sollte der ein oder andere Teilnehmer in den folgenden Stunden noch merken.

Auf die taktvollen Aufwärmübungen folgten zwei Theorie-Einheiten zum Thema ‚Live-Produktion‘ und ‚Songwriting‘, danach ging es dort weiter, wo in der vorigen Nacht irgendwann aufgehört werden musste: in den persönlichen Proberäume. Dort wurden die Bands und Singer-Songwriter den ganzen Tag über von den verschiedenen Dozenten besucht. Wir haben ein wenig Mäuschen gespielt und lassen Euch an dieser Stelle auch mal durchs Schlüsselloch schauen.

The 199x & Stephan Emig

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‚Ihr habt einen unfassbar angenehmen Bandsound, einige Sachen macht Ihr richtig geil.‘ Das Urteil von Drummer Stephan Emig, nachdem er the 199x das erste Mal spielen hörte, sorgt bei den vier Mädels aus Esens und Umgebung für erleichterte und freudige Gesichter. Das Lob eines Profis, das tut eben doppelt gut. Aber Stephan hat sich natürlich trotzdem einiges notiert, wie die Band ihren selbstgeschriebenen Song noch spannungsgeladener und technisch sicherer machen kann. Er rollt das Ganze gleich zu Beginn von hinten auf: Lange spricht er mit mit den Vieren über den letzten Ton. ‚Das ist das, was dem Publikum in Erinnerung bleibt. Wenn ihr da exakt gleichzeitig endet, ist das die halbe Miete, außerdem muss er genau die richtige Länge haben. Haltet die Spannung!‘

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Nach einigen Tipps rund ums Tempo wird es für Schlagzeugerin Gina dann ganz praktisch: ihr Schlagzeug wird ergonomischer angeordnet und gestimmt. Bislang passte sich Linkshänderin Gina immer dem gewöhnlichen Aufbau an, doch Stephan ermutigt sie, es so auszurichten, wie es sich für sie am besten anfühlt. Gina ist sichtbar dankbar über die Hilfe vom Experten: ‚Dieses Camp rettet meinen Rücken!‘IMG_0816Und noch bevor sie sich so richtig an den neuen Aufbau gewöhnen kann, wird es dann auch plötzlich ernst. Zwei Redakteurinnen stecken ihren Kopf durch die Tür und wolle eine Kostprobe. Die bekommen sie – und the 199x anschließend ihren ersten Publikumsapplaus.IMG_0833

Jonas Egbers & Jan Löchel und Thorsten Wingenfelder

IMG_0843Einen Raum weiter geht es währenddessen deutlich ruhiger zu. Jonas singt mit geschlossenen Augen seinen Song ‚Never give up‘, lediglich begleitet von sich selbst auf der Akustikgitarre. Hoher Gänsehautfaktor beim allgemeinen Zuhörer, fachmännische Akustikanalyse von den Experten Jan Lächel und Thorsten Wingenfelder. OLB Musikcamp 2015 Jugendherberge Borkum Tag 209

Kaum ist der letzte Ton verklungen, sprintet Thorsten nach vorn, schnappt sich Jonas‘ Gitarre und fängt an, die Melodie mit einer sanfteren, zupferenden Technik nachzuspielen. Jonas steigt gesanglich ein, Stefan auch. Und plötzlich bekommt die eindringliche Stimme von Jonas eine gewaltige Wirkung.

OLB Musikcamp 2015 Jugendherberge Borkum Tag 208Die Dozenten sind sich einig: Jonas hat einen internationalen Sound – und daher sollte er auch weiter auf englisch singen. ‚Dann ist es aber wichtig, dass Du Deine fertigen Texte mit einem Muttersprachler überarbeitest. Aktuell sind sie noch sehr deutsch gedacht, versuche mehr Bildsprache hineinzubringen. Dafür ist es immer gut, einen Engländer beim Texten dabei zu haben.‘ Wie das konkret gelingen kann, schauen sich Jan und Jonas anhand des neu geschriebenen Stückes von Jonas direkt an, denn der Song befindet sich genau im richtigen Stadium: Text und Melodie als Entwurf fertig, aber beides noch offen für Änderungen und Neues.

Tumbleweed & Stephan Emig

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Tumbleweed sind nicht nur eine aufeinander eingespielte, sondern auch erfahrene Band. In ihrem Proberaum liegt die Songliste von vergangenem Donnerstag, als sie wieder einmal einen Auftritt hatten. Auf Platz 5 steht das Stück ‚Forgive and forget‘ – und um das soll es auch gehen, als Stephan bei ihnen vorbeischaut. Denn bereits gestern Abend hatten sie den Song einem der Coaches, Dennis Poschwatta, präsentiert, mit für sie irritierendem Ergebnis: Er war nicht vollkommen zufrieden. Nun ist es nicht so, dass Tumbleweet grundsätzlich nicht an Kritik glauben möchte, aber dass ausgerechnet ihr Lieblingssong, der auch beim Publikum durch die Bank weg gut ankommt, nicht besteht, das macht sie dann doch nachdenklich. IMG_0904 Eine zweite Meinung soll helfen, die Hinweise von Dennis noch besser zu verstehen. Stephan eignet sich dafür besonders, richteten sich die konstruktive Kritik des Vorabends doch vor allem an den Schlagzeuger. Der will es gern bestmöglich machen und damit dem Song den Sound verpassen, den er verdient. Und so bringen sich die vier in Position und legen los.

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Stephan spitzt die Ohren, notiert und zählt. Sein Urteil: ‚Ich weiß, was Dennis meint. Da stimmt was mit dem Schlagzeug und der Geschwindigkeit nicht.‘ Doch es dauert nicht lange, dann ist all das nahezu behoben: Zuerst greift Stephan zum Stimmschlüssel, dann zur Tempo-App auf dem Handy. IMG_0896Anschließend feilt er mit der Band noch ein wenig am Song. Mit durchschlagendem Erfolg. Dennis Poschwatta kommt nur kurze Zeit später dazu, hört sich den Song nochmal an und verlässt dann kopfschüttelnd und mit einem Augenzwinkern den Raum: ‚Kaum ist Stephan kurz da, hört sich plötzlich alles so an, wie ich es mir vorgestellt hab. Ts.‘

Turned In & Dennis Poschwatta

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Da er bei Tumbleweed also nichts mehr zu tun hat, besucht Dennis die Jungs von Turned In. Sie sind gerade dabei, einen neuen Song zu arrangieren. Zwei Melodien haben sie schon erarbeitet, aber ob die beide zusammen passen? Da sind sie noch nicht so sicher. Und auch das Zusammenspiel will noch nicht richtig gelingen. Aber Lust darauf, dass es klappt, haben sie. Daher tut es ihnen merklich gut, als Dennis beginnt, Regie zu führen. An ganz wenigen Stellen, dafür dann umso entschiedener. OLB Musikcamp 2015 Jugendherberge Borkum Tag 223

‚Ihr braucht bei Euren Proben auch immer jemanden, der die Regie Übernimmt‘, rät er der Band. ‚Wenn Ihr zwei Songteile habt, aber noch gar nicht so genau wisst, in welcher Reihenfolge ihr sie spielen wollt, wie laut oder schnell sie sein sollen, dann müsst ihr immer mit Loops arbeiten. Wiederholt sie und wiederholt sie. Findet heraus, was sich gut anfühlt. Und das tut ihr nur, wenn es einen von Euch gibt, der beim Spielen immer wieder Wechsel von einen in den anderen Teil vorgibt.‘

Gesagt, getan. Die beiden Melodien entladen ihre Energie den Rest des Tages immer wieder im Haus 7 der Jugendherberge Borkum. Und von Mal zu Mal klingen sie sicherer.

Cathy & Linda PengelIMG_1004

Im Seminarhaus geht es währenddessen bei Cathy und Line nicht um das richtige Arrangement, sondern um den Bühnenauftritt. Wie stehe ich vor meinem Publikum? Oder besser gesagt: Stehe oder sitze ich vor ihm? Cathy präsentiert ihre Songs am liebsten im Schneidersitz auf einem Tisch. Jetzt aber steht sie erstmal in ihrem Proberaum, damit Line sie auch in dieser eher untypischen Performance erlebt. Und was sagt der Profi? ‚Das gefällt mir sehr gut. Du bist sonst immer sehr versunken in Dich selbst, stehend entfaltet sich Deine Musik noch mehr. Ich möchte Dir nicht sagen, dass Du das so machen sollst, aber es ist wert, es zumindest auszuprobieren.‘IMG_1006

Aaron Prüßen & Jan Lächel und Thorsten Wingenfelder

Hatte er sich eben noch für eine kreative Pause in seinem Bandraum hingelegt, steht auch Aaron nun wieder hinter seinem Mikrofon. ‚Meine kleine Insel‘ heißt sein Song, der erst gestern hier auf Borkum entstanden ist und sich in seine aktuelle Arbeit gut einreiht. Denn darin spielt das Meer wiederholt eine Rolle. So deutlich, dass Aaron sich fragt, ob es nicht schädlich ist, dass sich dieses Thema gleich in mehreren Texten wiederfindet: ‚In gleich zwei Songs hintereinander das Wort Möwe, ist das nicht zu viel?.‘ Andererseits, so sagt er, mag er Konzeptalben, auf denen sich alle Titel um ein gemeinsames Thema ranken.IMG_1017Die Angst vor zu viel Nordseeluft in seinen Liedern wird ihm von Thorsten genommen: ‚Dieser lokale Bezug kann auch ein Erkennungsmerkmal sein.‘

Aber eigentlich wollte Aaron gar nicht Über Möwen mit den beiden Coaches sprechen, sondern hatte eine ganz andere Frage. Welche das ist, können wir Euch an dieser Stelle nicht sagen, denn wir haben uns an dieser Stelle wieder aus dem Zimmer geschlichen – damit die Bands und Musiker weiterhin in Ruhe das tun können, wozu sie auf der Insel sind: von und mit den Profis lernen und sich ausprobieren.

P.s. Die Band Turned In hat nicht nur vom ersten, sondern auch vom zweiten Tag ein kleines Video gedreht. Schaut doch mal rein. 

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