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Einen Beitrag aus unserer Serie ‚AUF KLASSENFAHRT – Allein und im Team wachsen‘ verpasst? Kein Problem, hier geht’s zur Übersicht: AUF KLASSENFAHRT
„Mama, ich will nach Hause. Ich hab Heimweh“. Wenn Kinder diesen Satz ins Telefon schluchzen, während sie auf Klassenfahrt sind, wird Eltern das Herz schwer. Viele Fragen schießen dann durch den Kopf: „Haben wir im Vorfeld etwas falsch gemacht?“, „Woher kommt dieses Heimweh denn plötzlich?“ und vor allem „Was sollen wir jetzt machen?“. Wir haben diese und andere Fragen einer Expertin gestellt: Marion Sonnenmoser. Sie ist promovierte Diplompsychologin, Fachjournalistin, Autorin des Buches „Heimweh bei Kindern vorbeugen und verringern“ und selbst Mutter. Im Interview gibt sie wertvolle Tipps, was Eltern und Lehrer vor und während einer Klassenfahrt tun können, damit die Kinder eine möglichst unbeschwerte Zeit erleben.
Frau Sonnenmoser, Heimweh ist ein Wort, mit dem jeder von uns etwas verbinden kann. Aber wie definieren Sie als Expertin den Begriff? Was ist Heimweh genau?
Heimweh ist eine Gefühlsreaktion auf eine Trennung. Es ist unangenehm und kann sich ganz unterschiedlich ausdrücken, etwa in Kummer, Trauer und dem dringenden Wunsch, nach Hause zurückzukehren.
Gibt es Hinweise, welche Kinder besonders anfällig für Heimweh sind?
Es gibt durchaus Merkmale, die mit der Anfälligkeit für Heimweh einhergehen. Einige Beispiele:
Darüber hinaus spielt es eine Rolle, ob ein Kind freiwillig und gerne verreist oder sich ‚weggeschickt‘ fühlt. Eltern sollten ihr Kind im Hinblick auf solche Merkmale einschätzen und schon vor der Reise gezielt gegensteuern – oder von einem Auswärtsaufenthalt absehen, zumindest in diesem Fall.
Woran könnten Eltern bereits vor dem konkreten Abschiednehmen erkennen, dass ein Kind Heimweh gefährdet ist? Gibt es Anzeichen im Vorfeld?
Neben den oben genannten Merkmalen gibt es weitere Anzeichen, die darauf hindeuten können, dass ein Kind heimwehgefährdet ist. Sie zeigen sich unter anderem in Fragen, Ängsten und Befürchtungen:
Ist es möglich, dass ein Kind Anzeichen von Heimweh zeigt, wenn Eltern gar nicht mehr damit rechnen, weil Auswärtsübernachtungen kein Problem waren? Oder tritt Heimweh immer beim ersten Anlass auf?
Die mit einer Trennung verbundenen Gefühle werden einige Tage und Woche vor einer Reise noch nicht wirklich realisiert. Oft zeigen sie sich erst, wenn es tatsächlich soweit ist – also in den ersten Tagen und Nächten. Auswärtsübernachtungen und andere Maßnahmen sind zwar ein gutes Training, aber im Ernstfall kann alles noch einmal anders aussehen. Denn vor Heimweh ist niemand gefeit – nicht einmal der ‚geübte Reisende‘. Es kann jeden treffen, sowohl Kinder, die erstmals verreisen, als auch Kinder, die viel Reiseerfahrung haben – und sogar Lehrer und Betreuer.
Heimweh tritt zwar häufig auf, aber nicht generell beim ersten Anlass. Es kommt ganz darauf an, wie eine Reise verläuft. Wenn eine Klassenfahrt gut vorbereitet wurde und von Anfang an alles in Ordnung ist, dann hat Heimweh kaum eine Chance. Wenn sich jedoch Probleme in der Gruppe vor Ort oder mit den Personen, die zuhause geblieben sind, ergeben, entspringt Heimweh aus dem Bedürfnis heraus, an der momentan negativ empfundenen Situation etwas zu ändern.
Ab welcher Entwicklungsstufe kann ein Kind mit dem Auswärtsübernachten beginnen, hätten Sie dazu einen Ratschlag?
Viele Kinder werden bereits als Säuglinge von ihren Eltern mit auf Reisen genommen. Daher sind sie schon von klein auf damit vertraut, auch einmal in fremden Betten zu schlafen. Eine Grundlage für das Auswärtsübernachten wäre damit bereits gelegt. Dann sollte geübt werden, dass das Kind ohne Eltern auswärts übernachtet, anfangs zum Beispiel bei Verwandten oder Freunden. Wichtig ist hierbei, dass das Kind sich innerlich ein Stück weit von seinen Eltern lösen kann. Es sollte außerdem so viel Selbstvertrauen besitzen, dass es glaubt, auch weitgehend alleine zurecht zu kommen. Darüber hinaus sollte es imstande sein, sich an andere Personen als die Eltern zu wenden, wenn es etwas möchte. Dies alles sind Entwicklungsschritte, die ein Kind erst vollziehen muss, bevor es sich von seinen Eltern trennen kann, ohne unter Verlassens- und Existenzängsten zu leiden.
Da Kinder sich unterschiedlich schnell entwickeln, kommt es auf das jeweilige Kind und seine jeweilige individuelle Reife an. Kinder, die schon früh recht selbstständig sind, können bereits im Grundschulalter damit beginnen, ab und zu mal bei einem Freund oder einer Freundin zu übernachten oder in einer Gruppe mit Freunden einige Tage zu verreisen.
Damit ein Kind ohne fremde Hilfe auf Heimweh reagieren kann, muss es sich selbst regulieren können. Wie kann man Kinder im Alltag dabei unterstützen, diese Fähigkeit zu erreichen?
Zum einen sollte das Selbstvertrauen eines Kindes gestärkt werden. Eltern können es dabei unterstützen, indem sie das Kind in verschiedenen Angelegenheiten selbst entscheiden lassen und ihm Erfolgserlebnisse ermöglichen. Zum anderen sollte ein Kind lernen, sich selbst zu beruhigen, zu trösten und sich wieder in bessere Stimmung zu versetzen. Hier können zum Beispiel ein Kuscheltier oder eine Geschichte helfen. Auch das Sprechen oder Schreiben über den Kummer, sich Hilfe bei anderen zu suchen und zu wissen, was einen aufmuntern kann, tragen dazu bei, dass Kinder sich selbst regulieren können.
Klassenfahrten sind eine besondere Situation: Fremde Umgebung mit bekannten Menschen. Ist es ein Vorteil, mit ‚Leidensgenossen‘ unterwegs zu sein oder macht es keinen Unterschied, ob ein Heranwachsender allein oder in der Gruppe fern von zuhause ist?
Das Verreisen in einer Gruppe ist dann von Vorteil, wenn ein Kind gut in die Gruppe integriert ist bzw. dort schnell Freunde findet. Dann kann die Gruppe vom Heimweh ablenken und das Kind hat jemanden, mit dem es reden kann und der ihm dabei hilft, Heimweh zu Überwinden. Eine Gruppe kann jedoch auch von Nachteil sind, etwa wenn ein Kind ausgeschlossen wird oder wenn sich die Gruppenmitglieder gegenseitig mit Heimweh anstecken. Dann erzeugt eine Gruppe Heimweh geradezu und verstärkt es unter Umständen sogar noch.
In einer Gruppe mit bekannten Menschen zu verreisten ist bequem und vermittelt Sicherheit, denn man weiß, wer die Anderen sind, und muss nicht erst Kontakte aufbauen. Allerdings ist man Außenstehenden und Fremden gegenüber verschlossener. Alleine zu verreisen erscheint im Vergleich dazu schwieriger, hat aber den Vorteil, dass man offener ist, eher auf andere zugeht und schneller Kontakte mit Fremden knüpft. Da man anfangs alleine zurechtkommen muss, macht man ganz andere Erfahrungen und lernt eine Menge. In einer Gruppe ist das nicht ganz so der Fall.
Was können Eltern vorbeugend tun, sobald der Termin für die erste Klassenfahrt und das Ziel feststeht ?
Eltern können Folgendes tun, um das Heimwehrisiko bei ihrem Kind so niedrig wie möglich zu halten:
Und wie sollten sie sich am Tag der Abreise idealerweise verhalten?
Eltern sollten kein Drama aus der Trennung machen, selbst wenn es ihnen schwer fällt und sie mit Sorgen und Abschiedschiedsschmerz zu kämpfen haben. Eltern sollte daher nicht in Tränen ausbrechen oder das Kind verunsichern, indem sie sagen, dass sie ohne es nicht klarkommen oder dass sie die Zeit ohne es genießen werden. Eltern sollten einfach nur tapfer sein, lächeln und dem Kind viel Spaß bei der Klassenfahrt wünschen.
Und wie sollen Eltern reagieren, wenn das zunächst fröhlich abreisende Kind plötzlich unter Tränen zuhause anruft und heimwehgeplagt zurückfahren möchte?
Auch wenn ein solcher Anruf Panik auslöst: Ruhig bleiben! Anschließend nach folgendem Plan vorgehen:
Oft gewöhnt sich ein Kind mit Unterstützung der Betreuer und der anderen Kinder nach einigen Tagen an die neue Situation. Es fängt an, den Aufenthalt zu genießen und will nicht mehr nach Hause. Bei manchen Kindern ist das Heimweh jedoch so ausgeprägt, dass sich nichts machen lässt. Gelegentlich sind auch die Umstände vor Ort so, dass das Kind Schaden nehmen kann. Dann sollte der Aufenthalt abgebrochen und das Kind abgeholt werden.
Welche Rolle spielen Lehrer in solch einer Situation? Was können sie auf Klassenfahrt tun, wenn ein Kind Heimweh bekommt?
Lehrer nehmen bei einer Klassenfahrt die Rolle von Ersatzeltern an. Sie geben den Ton an und kümmern sich um die Belange der Kinder. Lehrer können schon vor der Klassenfahrt viel dafür tun, um Heimweh zu vermeiden, z.B. Eltern und Kinder gut informieren und Vertrauen aufbauen. Sollte ein Kinder während der Klassenfahrt unter Heimweh leiden, ist es Aufgabe der Lehrer, sich dem Kind anzunehmen, es zu trösten, zu beschäftigen und in die Gruppe zu integrieren. Zudem sollten sie sich mit den Eltern des heimwehkranken Kindes in Verbindung setzen, um mehr über das Kind und darüber zu erfahren, wie es beruhigt und aufgemuntert werden kann. Lehrer sollten sich schon vor der Abreise überlegen, was Kindern bei akutem Heimweh helfen kann und z.B. eine Tasche mit Kuscheldecken und Schmusetieren und ein Buch mit spannenden und lustigen Geschichten mitnehmen. Darüber hinaus sollte mit allen Kindern einmal über Heimweh gesprochen werden.
Gibt es Situationen bzw. Ausprägungen von Heimweh, bei denen sie raten, das Kind nicht gegen seinen Willen auf Klassenfahrt zu schicken oder sollte es jedes Kind zumindest für ein paar Stunden versucht haben, dabei zu sein?
Ein Kind sollte niemals gegen seinen Willen auf eine Klassenfahrt geschickt werden, denn sonst wird die Klassenfahrt kein schönes, sondern ein traumatisches Erlebnis. Wenn ein Kind nicht wegfahren will, sollten Eltern herausfinden, woran das liegt. Sind es ernsthafte Gründe wie z.B. massive Ängste, dann sollte das Verreisen nicht erzwungen werden und ggf. psychologische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden.
Wenn es eher weniger schwere Gründe sind, wie etwa Bequemlichkeit, dann sollten die Eltern versuchen, dem Kind die Klassenfahrt doch noch schmackhaft zu machen. Denn im Grunde ist das Verreisen – wenn es vom Kind gewollt ist und gut durchgeführt wird – ein Gewinn für jedes Kind. Letztlich gibt es immer wieder Situationen im Leben, in denen man sich trennen und verreisen muss. Wenn man schon im Kindesalter gelernt hat, wie es geht und dass es bereichern kann, dann hat man auch als Erwachsener viel Freude daran.
Danke, Frau Dr. Sonnenmoser!
Zur Person:
Dr. Marion Sonnenmoser ist Diplom-Psychologin und als Wissenschaftsjournalistin und Buchautorin tätig. Mit ihren Büchern und ihrer Website zum Thema „Heimweh“ möchte sie über Heimweh informieren, Tipps und Hilfestellungen geben und dazu beitragen, dass mit Heimweh offener umgegangen wird.
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