Jugendherberge Leer bildet Menschen mit Handicap aus: Eric wird der erste Azubi

Jugendherberge Leer Eric Schmidt

„Ihr Zimmer finden Sie rechts entlang. Das Frühstück ist dann genau auf der gegenÜberliegenden Seite, von 7.30 Uhr bis 9 Uhr. Wenn Sie noch Fragen haben oder etwas brauchen, melden Sie sich bei uns. Wir sind hier.“ Wenn Eric Schmidt im Eingangsbereich der Jugendherberge Leer neue Gäste begrüßt, ist er voll in seinem Element: Heiter, zugewandt und hilfsbereit. Von Unsicherheit keine Spur, dabei gehört der 21-Jährige erst wenige Wochen zum Team des Hauses. Gerade geht sein sechswöchiges Praktikum zuende, Erics Zeit in der Jugendherberge Leer allerdings nicht. Er hat die Herbergsleitung mit seiner Lebensfreude und seinem Lernwillen so von sich überzeugt, dass er am 1. August eine Ausbildung zur „Fachkraft im Gastgewerbe“ startet. Schon jetzt ist klar, dass Eric noch in seiner Ausbildung auf einen Rollstuhl angewiesen sein wird. Eric hat HMSN (Hereditäre motorisch-sensible Neuropathien), eine seltene Nervenkrankheit, die sowohl die motorischen als auch die sensorischen Fähigkeiten beeinflusst. Eric selbst beschreibt sie als „Wurm, der meine Wurzeln auffrisst“ beschreibt.

Eigentlich hatte sich Eric in der Jugendherberge Aurich beworben, berichtet mir Janina Goedeke, die sich an den Standorten Leer und Aurich federführend um die Verwirklichung der Intergrationsziele der Jugendherbergen im Nordwesten kümmert. Seit nunmehr vier Jahren arbeiten in Leer Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, im Verhältnis 50/50. Die Jugendherberge Aurich folgt seit der Wiedereröffnung in diesem Jahr dem gleichen Prinzip. Daher waren einige freie Stellen für Menschen mit Handicap ausgeschrieben, unter anderem in der Reinigung und Haustechnik. Dafür schickte Eric seine Unterlagen, wurde zum Bewerbungsgespräch eingeladen – und nicht genommen. Jedenfalls nicht für die von ihm vorgesehene Stelle. „Wir hatten schnell den Eindruck, dass er genau die Talente mitbringt, die sich an der Rezeption besonders gut entfalten“, erinnert sich Janina Goedeke. „Daher haben wir ihm einen Testtag in Leer vorgeschlagen, um sich an dieser Position zu erproben.“

Jugendherberge Leer Ausbildung 1

Eine Arbeitserprobung für Menschen mit Behinderung bietet die Jugendherberge Leer schon seit einiger Zeit an- egal, ob jemand dort oder ganz woanders arbeiten möchte. „Sowohl für die Person selbst als auch für die betreuenden Institutionen oder den künftigen Arbeitgeber ist es wichtig, einschätzen zu können, welche Arbeitsbereiche die richtigen sind und wo Belastungsgrenzen liegen. Nur so wird eine gezielte Vermittlung in einen Job möglich“, so Goedeke. Zu den Kooperationspartnern der Jugendherberge Leer, die von den Orientierungsangeboten profitieren, gehören beispielsweisedie Agentur für Arbeit, die Integrationsfachdienste Emden oder das Berufsförderungswerk Friedehorst. Und warum bieten die Jugendherbergen diese Orientierung? „Wir möchten Menschen dabei unterstützen, die Arbeit zu finden, die zu ihnen passt und die sie gut bewältigen können. Nur so können sie sich als gleichwertiges Teil des Teams erleben.“

Erics Testtag an der Rezeption machte Lust auf mehr, sowohl ihm selbst als auch dem Team in der Herberge. Nach rund 130 Bewerbungen, die Eric nach dem krankheitsbedingten Abbruch seiner vorhergehenden Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher geschrieben hatte, rückte eine Zukunftsperspektive endlich wieder in greifbare Nähe. Janina Goedecke verständigte sich mit seiner REHA-Beraterin und das Praktikum wurde vereinbart. Es diente dazu, Erics Grenzen noch besser kennenzulernen. Dazu gehörte auch ein „Rolli-Tag“, an dem Eric den Arbeitsalltag am Empfang in einem Rollstuhl sitzend absolvierte. Es klappte. Nicht nur mit dem Rollstuhl, sondern auch mit der Integration ins Team. „Wenn ich hier bin fühle ich mich nicht krank! Ihr gebt mir das Gefühl gesund zu sein und nicht anders zu sein“, so sagte Eric selbst. Und genau so soll es sein.

Am 1. August beginnt der 21-Jährige seine Ausbildung in der Jugendherberge Leer. Es ist das erste Mal, dass das Herbergsteam einen Menschen mit Behinderung ausbildet. Goedeke: „Wir merken, dass wir in den letzten vier Jahren ausreichend Erfahrung mit unserem Integrations-Modell gesammelt haben, dass wir diesen nächsten Schritt nun gehen können.“ Zeitgleich mit Eric beginnt ein zweiter Azubi ohne Handicap die Lehre. 50/50 eben.

Und Eric? Der freut sich sichtlich. Überhaupt versprüht er so viel positive Energie, wie man es sich als Gast des Hauses nur wünschen kann. Dass er davon trotz seiner unheilbaren Krankheit eine Menge hat, hört man bei Aussagen wie dieser: „Warum soll ich zuhause Rumsitzen? Nee, das ist doch Quatsch. Davon wird’s ja nicht besser.“

Recht hast Du, Eric! Wir freuen uns auf die weitere Zeit mit Dir!

2 Kommentare;

  1. W.Lenz sagt:

    Schön zu lesen, dass es bei euch diese Möglichkeit gibt. haben auch Schüler mit dem Schwerpunkt „geistige Entwicklung“ eine Chance?
    Herzliche Grüße
    Werner Lenz
    BKS on Tour in Bocholt

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